Die Spiralgalaxie NGC 5907 im nördlichen Sternbild Drache (Draco) wurde am 5. Mai 1788 von dem deutsch-britischen Astronomen Friedrich Wilhelm Herschel mit seinem 18,7-Zoll-Spiegelteleskop entdeckt. Er beschrieb sie als „ziemlich hell, schwacher Kern in der Mitte, 8 oder 10' lang, 2' breit“ Aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ist NGC 5907 auch unter dem Eigennamen „Splinter Galaxy“ bekannt, der 1970 von dem amerikanischen Amateurastronomen Walter Scott Huston geprägt wurde. Weniger bekannt ist sie unter dem Namen „Messerschneide Galaxie“. Das schwache Leuchten auf der Westseite des dunklen Staubbandes trägt eine eigene NGC-Nummer: NGC 5906. Entdeckt wurde sie am 13. April 1850 von George Johnstone Stoney, einem Assistenten des irischen Astronomen Lord Rosse.
NGC 5907 ist eine Edge-on-Galaxie vom Hubble-Typ SA(s)c, die wir fast direkt von ihrer Kante aus sehen können. Sie ist nur um zwei Grad
gegenüber unserer Sichtlinie geneigt. Sie besitzt eine scheinbare Helligkeit von 10,4 mag und eine scheinbare Größe von 12,7 x 1,4
Bogenminuten, so dass sie bereits in mittelgroßen Teleskopen beobachtet werden kann. Im Okular zeigt sie sich als extrem dünne Lichtnadel
ohne sichtbaren Bulge. Ihr Kern ist fast vollständig von Staubstrukturen in ihrer Scheibe verdeckt. Die Scheibe ist deformiert und diese
Deformation setzt sich bis zu den äußeren Rändern der Scheibe fort. NGC 5907 weist eine ungewöhnlich geringe Metallizität und nur wenige
erkennbare Riesensterne auf und scheint fast ausschließlich aus Zwergsternen zu bestehen. Die Galaxie enthält außerdem eine ultrahelle
Röntgenquelle, ein supermassereiches Schwarzes Loch in ihrem Zentrum und den mit einer Periode von 1,13 Sekunden am weitesten entfernten
Pulsar der je entdeckt wurde.
Die Galaxie ist wahrscheinlich ein Mitglied der 40 Millionen Lichtjahre entfernten NGC5866-Gruppe (LGG 396). Sie steht 37 Millionen
Lichtjahren von der Erde Entfernung und besitzt einen wahren Durchmesser von 149.000 Lichtjahren und eine Masse von 230 Milliarden
Sonnenmassen. Damit ist die Galaxie etwas größer und schwerer als unser eigenes Milchstraßensystem. Zu der Galaxiengruppe, die unserer
Lokalen Gruppe nicht unähnlich ist, gehören neben NGC 5866 (Messier 102) auch die Galaxien NGC 5879 und UGC 9776. Langbelichtete Aufnahmen
unter dunklem Himmel zeigen bogen- bis schleifenförmige stellare Gezeitenströme, die vermutlich entstanden sind, als NGC 5907 eine kleine
Zwerggalaxie entlang ihrer Bahn durch Gezeitenkräfte auseinanderriss. Sie verschmolz mit der Splinter-Galaxie vor etwa 3,6 Milliarden Jahren,
als das Leben auf der Erde noch in den Kinderschuhen steckte. Die kleine Galaxie besaß eine Masse von 200 Millionen Sonnenmassen. Die
Sternenströme, die sie heute umgeben, reichen bis zu 150.000 Lichtjahre weit in den intergalaktischen Raum hinaus. Auf diese Weise könnten
sich auch Polarring-Galaxien bilden. In den letzten 100 Jahren wurde in NGC 5907 nur eine Supernova beobachtet. Die Kernkollaps-Supernova SN
1940A vom Typ II wurde am 16. Februar von Josef J. Johnson entdeckt und erreichte eine maximale Helligkeit von 14,3 mag.
NGC 5907 ist eine Herausforderung für Benutzer kleiner Teleskope, die nicht unter einem dunklen Landhimmel beobachten können. Bei geringer Lichtverschmutzung ist die Galaxie bereits in einem 4- bis 5-Zoll-Refraktor bei geringer Vergrößerung als sehr dünnes, 6:1 elongiertes Lichtband zu erkennen, das in der Mitte etwas dicker erscheint. In Teleskopen mit 8 bis 10-Zoll Öffnung und mittlerer Vergrößerung erscheint NGC 5907 wie eine Art Zahnstocher, sehr flach, mit einer deutlich hellen Hauptachse, die an den Enden spitz in den Himmelshintergrund übergeht. Um sie herum sind einige lichtschwächere Vordergrundsterne verstreut. Ein besonders auffälliger Stern befindet sich etwa in der Mitte der Galaxie auf der Westseite. Bei indirektem Sehen und 60-facher Vergrößerung erscheint die Scheibe unregelmäßig und leicht gemottelt. Vor allem der nordwestliche Teil der Galaxienscheibe ist schärfer und heller. Auf der Ostseite erscheint sie etwas abgeplattet. Das hellere Zentrum mit einem sternförmigen Kern und einer Art Knoten nördlich des Kerns ist ab 100facher Vergrößerung zu erkennen. Das typische Staubband der Galaxie ist nur mit deutlich größeren Teleskopen nachweisbar.
Die Galaxie befindet sich in einer unauffälligen Himmelsregion zwischen den Sternbildern Großer Bär und Kleiner Bär, an der Grenze zum Sternbild Bärenhüter. Sie liegt knapp 3 Grad südsüdwestlich des 3,3 mag hellen Sterns Iota Draconis und etwa 1 Grad nördlich der beiden 11,7 bzw. 11,8 mag hellen Spiralgalaxien NGC 5905 und NGC 5908. Um diese Galaxie zu finden, suchen wir zunächst nach Iota Draconis. 5 Grad südwestlich davon befindet sich ein Stern der 5. Größenklasse. Diesen stellen wir in die Mitte des Suchers ein. Etwas mehr als ein Grad nördlich dieses Sterns befindet sich Messier 102 (NGC 5866). Von dieser Galaxie aus schwenken wir nun ein weiteres Grad nach Nordosten, bis wir auf ein auffälliges Dreierpaar aus Sternen der 7. und 8. Größenklasse stoßen. Die Sterne bilden mit weiteren schwächeren Sternen eine Art Kette. NGC 5907 befindet sich nur ein halbes Grad östlich dieser Kette.
Die zirkumpolare Galaxie ist am besten in den Frühlings- und Sommermonaten zu beobachten, wenn das Sternbild Draco bei uns am höchsten steht. Anfang Juni steht NGC 5907 um 23 Uhr Sommerzeit in der Nähe des Zenits.